DIE GENERALINSTANDSETZUNG DER LUDWIGSBRÜCKE IN MÜNCHEN

Sondereinsatz von RELAST® Verbundankerschrauben zur Brückenertüchtigung

Dr.-Ing. Otto Wurzer, WTM ENGINEERS München GmbH

Ludwigsbrücke von oben
Ludwigsbrücke Innenansicht
Ludwigsbrücke Außenansicht

Zusammenfassung

Zu den wichtigen aktuellen Infrastrukturprojekten in der Landeshauptstadt München gehört die Generalinstandsetzung der Ludwigsbrücken vor dem Deutschen Museum. Die erhebliche verkehrliche Mehrbelastung in den vergangenen Jahrzehnten, Frost- und Tausalzschäden infolge undichter Abdichtungs- und Entwässerungssysteme aber auch originäre konstruktive Defizite machten eine grundhafte Instandsetzung dieser Bauwerke erforderlich. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Baumaßnahmen ist die Ertüchtigung der Scheitel- und Kämpfergelenksköpfe an den Bogentragwerken der Äußeren Ludwigsbrücke. Abweichend von der ursprünglich vorgesehenen baulichen Lösung werden hierfür Verbundankerschrauben des Systems Würth RELAST® im Rahmen einer bauaufsichtlichen Zulassung im Einzelfall eingesetzt.

Einleitung

In unmittelbarer Nähe zum Deutschen Museum überführt die Innere Ludwigsbrücke die Zweibrückenstraße über die Große Isar. In Richtung des Kulturzentrums Gasteig spannt sich die Äußere Ludwigsbrücke über die Kleine Isar, die als innerstädtischer Naturschutzraum in ökologischer Hinsicht besonders schützenswert ist. Beide Brücken, die in den Jahren 1933 / 1934 hergestellt wurden, sind heute denkmalgeschützt. Die hohe Verkehrsbelastung, aber auch die unmittelbare Nachbarschaft der Brücken einerseits zu Zentren urbaner Aktivität und andererseits zu ökologischen Schutzräumen stellen ein intensives Spannungsfeld für Baumaßnahmen an den Ludwigsbrücken da.

Innere Ludwigsbruecke Konstruktion

Innere Konstruktion der Ludwigsbrücke

Äußere Konstruktion Ludwigsbruecke

Äußere Konstruktion der Ludwigsbrücke

Bauwerkskonstruktionen

Wie dem Bild zu entnehmen ist, wurde die Innere Ludwigsbrücke als einfeldriges, über 45 m gespanntes Bauwerk konzipiert. Wesentliche tragende Konstruktion ist ein flacher Dreigelenk-Bogen aus Stahlbeton, auf den über Längsschotte den Fahrbahnaufbau tragende Spargewölbe aufgeständert sind. Die beiden Brückenwiderlager weisen massive Fundamente auf, um den Bogenschub abtragen zu können. Hergestellt wurde das Bogentragwerk in der sogenannten Melanbauweise, bei der ein bogenförmiges Stahlfachwerk als in den Bogen integriertes Lehrgerüst eingesetzt wurde. Die Seitenflächen der Brücke sind mit einer Natursteinverkleidung versehen. Aufgrund des ausgedehnteren Flussraumes der Kleinen Isar wurde die Äußere Ludwigsbrücke als zweifeldriges Bauwerk mit Feldweiten von ca. 33m ausgeführt. Die tragende Konstruktion in den beiden Brückenfeldern besteht ebenfalls aus Dreigelenkbögen mit einem im Vergleich zur Inneren Ludwigsbrücke etwas größerem Bogenstich. Anders als bei der Inneren Ludwigsbrücke ist bei der Äußeren Ludwigsbrücke eine profilierte Stahlbeton-Fahrbahnplatte ausgebildet, die über Längsschotte auf die tragenden Stahlbetonbögen abgesetzt ist. Massive Widerlager und ein ausgeprägter Flusspfeiler bilden die Unterbauten der Äußeren Ludwigsbrücke.

Bauwerkszustand und Instandsetzungsbedarf

Um den Bauwerkszustand der Ludwigsbrücken zu erfassen und fundiert zu beurteilen, wurden sowohl statische Analysen wie auch vertiefte Bauwerksprüfungen durchgeführt, die auf den Ergebnissen der turnusmäßig durchgeführten Bauwerksprüfungen gemäß DIN 1076 aufbauten.

Bereits in den 1980er Jahren wurden für die beiden Ludwigsbrücken Einstufungsberechnungen vorgenommen, in deren Folge sie in die Brückenklasse 60/30 eingestuft wurden. Eine in 2009 erfolgte Nachrechnung auf der Grundlage der Nachrechnungsrichtlinie hat allerdings ergeben, dass insbesondere die Äußere Ludwigsbrücke folgende statischkonstruktive Defizite aufweist:

  • Unzureichende Querbewehrung in den Fahrbahnplatten
  • Unzureichende Querbewehrung in den Dreigelenkbögen
  • Nicht ausreichende Spaltzugbewehrung in den Scheitel- und Kämpfergelenksköpfen

Der Befund unzureichender Querbewehrung bestätigte sich auch für die östlich und westlich der Ludwigsbrücken gelegenen Fuß- und Radwegunterführungen.Die Bilder zeigen den Bauwerkszustand vor der aktuellen Generalinstandsetzung. Auffällig sind starke Feuchteschäden an den Unterseiten der Bogentragwerke, an den Fahrbahnplatten und unterhalb der Brüstungen, die durch unterläufige Abdichtungen sowie durch schadhafte Entwässerungsleitungen und defekte Tropftüllen verursacht wurden. Besonders ausgeprägt waren diese Durchnässungen im Bereich der Scheitel- und Kämpfergelenksfugen der Äußeren Ludwigsbrücke. Die Bogentragwerke wiesen außerdem eine stark inhomogene Betonstruktur sowie zahlreiche Hohllagen und Risse auf.

Um die aus der langzeitigen Durchnässung an den Scheitel- und Kämpfergelenksköpfen resultierenden Schäden zu untersuchen, wurden dort Betonkerne entnommen. Diese zeigten eine erhebliche Chloridbelastung und Frostschäden an der Betonstruktur auf. Einsetzende chloridinduzierte Korrosion an der Bewehrung der Scheitelgelenksköpfe galt vor diesem Hintergrund als sehr wahrscheinlich. In Kombination mit der statisch nachgewiesenen Unterdeckung der Spaltzugbewehrung ergab sich daraus ein erhebliches Risiko für eine nennenswerte Tragfähigkeitsreduktion an den Scheitel- und Kämpfergelenksköpfen und damit für die Aufrechterhaltung der Standsicherheit der statisch bestimmten Dreigelenksbögen. Schon allein aus diesem Schadensszenario heraus resultierte unmittelbarer Ertüchtigungs- und Instandsetzungsbedarf für die Äußere Ludwigsbrücke.

Ertüchtigung der Scheitel- und Kämpfergelenke

Zu den vorrangigen konstruktiven und baulichen Maßnahmen der Generalinstandsetzung der Äußeren Ludwigsbrücke gehört daher die Ertüchtigung der Scheitel- und Kämpfergelenke. Auf der Grundlage der Bauwerksuntersuchungen musste angenommen werden, dass der Beton an den Scheitelgelenksköpfen starke Durchfeuchtungen und Frostschäden aufweist. Außerdem wurden wegen der Chloridbelastung, die in den entnommenen Betonkernen festgestellt wurde, erhebliche Korrosionsschäden an der Bewehrung der Scheitel- und Kämpfergelenksköpfe unterstellt. Eine komplette Erneuerung des Betons der Gelenkköpfe erschien deshalb geboten, verbunden mit der Verstärkung der dort vorhandenen Bewehrung. Im Bereich der Scheitelgelenksköpfe war dies im Zuge der Hauptbaumaßnahme vorgesehen.

Der rasche Schadensfortschritt im Bereich der Kämpfergelenke machte dort allerdings eine Vorab-Ertüchtigung notwendig. Bereits im Jahr 2017 wurden die Kämpfergelenke der Äußeren Ludwigsbrücke, mit der im Bilddargestellten Konstruktion verstärkt. Mit kurzen konventionellen Stabspanngliedern wurde eine zusätzliche Spaltzugbewehrung an den Kämpfergelenksköpfen eingebracht. Außerdem wurde ein Fortschreiten der chloridinduzierten Korrosion an der bestehenden Bewehrung durch den Einbau eines Kathodischen Korrosionsschutzsystemes unterbunden.

Aufgrund von Naturschutzvorgaben sowie der ständig präsenten Hochwassergefahr in der kleinen Isar ist eine Hilfsunterstützung der Bogentragwerke während der Erneuerung der Scheitelgelenksköpfe ausgeschlossen. Um die Scheitelgelenke während der in Teilabschnitten durchzuführenden Erneuerung der Scheitelgelenksköpfe zu entlasten, sollte daher der dargestellte „Kraft-Bypass“ zur Anwendung kommen. Dabei werden massive Abstützblöcke aus Stahlbeton seitlich der Gelenkfuge auf die Ober- und Unterseite der Bogentragwerke gespannt. Diese dienen als Widerlager für Stahlrohrsteifen, die mittels hydraulischer Pressen vorgespannt werden und die Bogenkräfte wie in einem Bypass umleiten.

Vertiefte statische Analysen ergaben allerdings, dass die Erneuerung der Scheitelgelenksköpfe im Schutz des dargestellten „Kraft-Bypasses“ in den Randbereichen der Bögen zu unzulässigen zusätzlichen Biegebeanspruchungen führt. Daher wurden die Scheitelgelenksköpfe in diesen Bogenrandzonen (Baufeld Bauphase 100) nicht erneuert, sondern durch den Einbau von RELAST Verbundankerschrauben im Hinblick auf ihre Spaltzugtragfähigkeit ertüchtigt. Die Anwendung von RELAST Verbundankerschrauben zu diesem Zweck ist durch deren aktuell gültige bauaufsichtliche Zulassung nicht abgedeckt, weshalb eine Zulassung im Einzelfall erwirkt werden musste.

Da die Ertüchtigung der Scheitelgelenksköpfe unter Einsatz des RELAST®-Systems im Vergleich zur kompletten Erneuerung der Gelenksköpfe im Schutze des „Kraft-Bypasses“ erhebliche baubetriebliche, bauzeitliche und wirtschaftliche Vorteile aufweist, drängte sich im Zuge des Bauablaufes die Frage auf, ob die „RELAST®-Lösung“ auch für die Bogen-Innenfelder (Bauphase 200) umgesetzt werden kann.Dies setzte allerdings voraus, dass dort ein dichtes Betongefüge und eine ausreichende Betonfestigkeit vorliegt sowie die Chloridbelastung des Betons im Bereich der Gelenksköpfe und die damit einhergehende Korrosion geringer ist, als prognostiziert. Um die Querkraftübertragung über die Scheitelgelenke zukünftig auch zuverlässig zu gewährleisten, mussten insbesondere die bestehenden Querkraftdollen, die den Gelenkspalt queren, weitgehend unversehrt sein.

Zur Überprüfung dieser Randbedingungen wurden je Scheitelgelenk zusätzlich 5 Bohrkerne gezogen und 4 Bauteilöffnungen vorgenommen. An den Bohrkernen wurden sowohl die Betondruckfestigkeiten bestimmt wie auch die Chloridgehalte ermittelt. In den Bauteilöffnungen wurden die dort liegenden Querkraftdollen und die bestehende Bewehrung freigelegt.

Aus den o. g. Untersuchungen ergaben sich folgende Befunde:

  • Einstufung des bestehenden Betons in die Betondruckfestigkeitsklasse C 50/60 entsprechend DIN EN 206-1; weitgehend geschlossenes Betongefüge
  • Chloridgehalte bis max. 1,0 M-%/z nur mäßig erhöht
  • Vorhandene Bewehrung ohne Korrosion
  • An den Querkraftdollen geringe Korrosionsschäden lokalisiert im Fugenspalt des Scheitelgelenks (Mittlerer Querschnittsverlust ca. 5 %)

Vor dem Hintergrund dieser Untersuchungsergebnisse und unter der Voraussetzung, dass das bereits im Jahre 2011 an den Scheitelgelenken eingebaute Kathodische Korrosionsschutzsystem weiterhin betrieben wird, wurde vom Bauherrn entschieden, die Scheitelgelenksköpfe auch in den Mittelbereichen der Äußeren Ludwigsbrücke mit Hilfe von RELAST® Verbundankerschrauben zu ertüchtigen. Auf den im Bild dargestellten „Kraft-Bypass“ konnte somit verzichtet werden.

Ludwigsbrücke Kraft-Bypass1

„Kraft-Bypass“ zur Entlastung der Scheitelgelenke während der Erneuerung

Ludwigsbrücke Kraft-Bypass2

„Kraft-Bypass“ zur Entlastung der Scheitelgelenke während der Erneuerung

Ludwigsbrücke Bauteilöffnung

Feuchte- und Chloridbelastung in den Scheitelgelenken (Prognose nach Schiessl-Gehlen-Sodeikat)

Bauausführung

Wie im Bild dargestellt, wurden beidseitig der Scheitelgelenke ober- und unterseitig je zwei Reihen Verbundankerschrauben M20 des Systems Würth RELAST® 22 mit einem Achsabstand von 40 cm eingebaut. Damit wird einerseits ein effektiver Ankerabstand von 20 cm und andererseits eine Vernadelung der Verankerung erreicht, die vor allem die Spaltzugkräfte im Scheitelgelenkskopf aufnehmen soll. Zum Einsatz kamen sowohl in der Länge vorkonfektionierte Verbundankerschrauben wie auch Verbundankerschrauben mit Standardlängen, die bauseitig passend abgelängt wurden und auf der Baustelle zur Sicherstellung eines dauerhaften Korrosionsschutzes u. a. mit einer zusätzlichen Hutmutter ausgestattet wurden.

Inzwischen sind sämtliche, für die Verstärkung der Scheitelgelenksköpfe vorgesehene, Verbundankerschrauben eingebaut. Indem auf eine komplette Erneuerung der Scheitelgelenksköpfe verzichtet werden konnte, war es möglich, die Bauzeit etwa um 2 bis 3 Monate zu reduzieren, verbunden mit nennenswerten wirtschaftlichen Einsparungen.Die konstruktiven Instandsetzungsmaßnahmen an der Äußeren Ludwigsbrücke können voraussichtlich im Herbst 2022 abgeschlossen werden. An der Inneren Ludwigsbrücke kann die Ertüchtigung der widerlagerseitigen Kämpfergelenksköpfe, auch unter Anwendung von RELAST® Verbundankerschrauben, erst im Zuge einer erheblichen Absenkung des Flussspiegels in der Isar erfolgen. Der Abschluss der gesamten Baumaßnahme ist für Ende 2023 geplant.

 

Herstellen der Bohrlöcher für die Verbundankerschrauben Würth RELAST® 22 an der Brückenunterseite

 

Montage der Verbundankerschrauben Würth RELAST® 22 an der Brückenunterseite

 

Montage der Verbundankerschrauben Würth RELAST® 22 an der Brückenoberseite

 

Fertiggestelle Ertüchtigung an den Scheitelgelenken inklusive des KK-Systems und den Verbundankerschrauben

Online Seminar:

Grundlagen der RELAST® Bauwerksverstärkung

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Inhouse-Anwendungsseminar:

RELAST® Bauwerksverstärkung

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