Tragverhalten nachträglicher Bewehrungsanschlüsse im Brandfall

Am Beispiel des Würth Injektionssystems WIT-PE 1000

Dr.-Ing. Susanne Reichel, Zentrum für Innovation und Berechnung, MFPA Leipzig GmbH

WIT-PE 1000 Einheitstemperaturzeitkurve gemäß [3]

Abbildung 1: Einheitstemperaturzeitkurve gemäß [3]

WIT-PE 1000 Anwendungsfall A Printskizze

Abbildung 2: Anwendungsfall A (Prinzipskizze): thermisch beanspruchte Oberfläche parallel zum Bewehrungsanschluss

WIT-PE 1000 Anwendungsfall B (Prinzipskizze)

Abbildung 3: Anwendungsfall B (Prinzipskizze): thermisch beanspruchte Oberfläche senkrecht zum Bewehrungsanschluss

I Einführung

Das Würth Injektionssystem WIT-PE 1000 ist ein Injektionsmörtel zur Herstellung nachträglicher Bewehrungsanschlüsse durch Verankerung oder Übergreifungsstoß. In beiden Fällen wird im Bestandsbauteil ein Bohrloch hergestellt, mit Injektionsmörtel gefüllt und der erforderliche Bewehrungsstab eingebracht. Nach dem Erhärten des Injektionsmörtels kann das Neubauteil anbetoniert werden.

Die Leistungseigenschaften des Würth Injektionssystem WIT-PE 1000 sind in der Europäischen Technischen Bewertung ETA-19/0543 [1] beschrieben. Neben den Geometrie- und Werkstoffeigenschaften der zulässigen Bewehrungsstäbe, Geometrieeigenschaften des Bohrlochs und der Konstruktionsbestandteile, Montageanweisungen sowie mechanischen Eigenschaften der Verbindung unter Normaltemperatur ist mit fbd,f i (Θ) der temperaturabhängige Bemessungswert der Verbundspannung im Brandfall angegeben.

Der temperaturabhängige Bemessungswert der Verbundspannung wird im Folgenden genutzt, um die Tragfähigkeit von Bewehrungsanschlüssen im Brandfall zu ermitteln. Die Tragfähigkeit im Brandfall entspricht der Leistungseigenschaft R gemäß DIN EN 13501-2 [2]. Eine Klassifizierung von Leistungseigenschaften im Brandfall gemäß DIN EN 13501-2 [2] bedingt eine zeitabhängige Brandbeanspruchung nach der Einheitstemperaturzeitkurve (ETK), die in DIN EN 1363-1 [3] definiert ist (vgl. Abbildung 1). Auch im Nationalen Anhang zu DIN EN 1991-1-2 wird gefordert, für Bauteile im Hochbau an jeder Stelle des Tragwerks die Einheits?temperaturzeitkurve anzuwenden. Ist eine ausreichende Tragfähigkeit unter ETK-Beanspruchung nachgewiesen, gilt dieser Nachweis unabhängig von der späteren Nutzung.

WIT-PE 1000 Abbildung 4: Konstruktionsbeispiele

Abbildung 4: Konstruktionsbeispiele aus ETA-19/0543 [1] und Zuordnung zu den Anwendungsfällen

II Konstruktionen

Für die Ermittlung der Tragfähigkeit von Bewehrungsanschlüssen im Brandfall muss grundsätzlich zwischen zwei Anwendungsfällen unterschieden werden. Im Anwendungsfall A weist die thermisch beanspruchte Oberfläche die gleiche Richtung auf wie die Bewehrung, was zu einer örtlich konstanten, jedoch zeitlich veränderlichen Temperatur entlang der Verankerungslänge lbd führt (siehe Abbildung 2).

Im Gegensatz dazu zeigt im Anwendungsfall B die nachträglich eingebaute Bewehrung senkrecht zur thermisch beanspruchten Oberfläche, woraus ein zeitlich und örtlich veränderlicher Temperaturverlauf entlang der Verankerungslänge lbd resultiert (siehe Abbildung 3).

Die Unterscheidung zwischen den Anwendungsfällen A und B wird ausschließlich nach der Ausrichtung der beflammten Oberflächen in Bezug auf die Richtung der nachträglich eingebauten Bewehrung getroffen und ist nicht gleichbedeutend mit der Unterscheidung zwischen Endverankerung und Übergreifungsstoß. Abbildung 4 zeigt Konstruktionsbeispiele aus ETA-19/0543 [1] und deren Zuordnung zu den entsprechenden Anwendungsfällen.

III Bemesungskonzept

1 Allgemeines

Wie bereits eingangs erwähnt, wird die Tragfähigkeit nachträglicher Bewehrungsanschlüsse im Brandfall signifikant von der temperaturabhängigen Verbundspannung fbd,f i (Θ) mit

fbd, f i (Θ) = kf i (Θ) · fbd,P IR · (γc / γ M,f i)

beeinflusst, welche versuchstechnisch bestimmt wird. Der Abminderungsfaktor kf i (Θ) unter Brandbeanspruchung, der von der Betonfestigkeitsklasse abhängige Bemessungswert fbd der Verbundspannung im Kaltfall gemäß DIN EN 1992-1-1 [4] sowie der Abminderungsfaktor kb mit fbd,P IR = kb · fbd werden in ETA-19/0543 [1] spezifiziert. Für den materialseitigen Teilsicherheitsbeiwert von Beton im Kaltfall gilt gemäß DIN EN 1992-1-1 [4], Tabelle 2.1 N in Übereinstimmung mit dem entsprechenden Nationalen Anhang für die ständige und vorübergehende Bemessungssituation γc= 1,5 .

WIT-PE 1000 Tabelle 1

Tabelle 1: WIT-PE 1000: Bemessungswerte der Verbundspannung im Kaltfall aus ETA-19/0543 [1], Tabelle C3

Im Brandfall gilt gemäß DIN EN 1992-1-2 [5], Kapitel 2.3 in Übereinstimmung mit dem entsprechenden Nationalen Anhang für den materialseitigen Teilsicherheitsbeiwert von Beton γM,f i = 1,0. In ETA-19/0543 [1], Tabelle C3 (siehe Tabelle 1) sind die Bemessungswerte fbd der Verbundspannung im Kaltfall ausgewiesen. Die Werte sind für alle Bohrverfahren anwendbar, jedoch abhängig vom Bewehrungsstabdurchmesser und gelten für gute Verbundbedingungen gemäß DIN EN 1992-1-1 [4], Kapitel 8.4.2. Im Fall anderer Verbundbedingungen sind die angegebenen Werte mit dem Faktor 0,7 zu multiplizieren. Gemäß ETA-19/0543 [1] gilt für alle Betonfestigkeitsklassen, alle Bewehrungsstabdurchmesser und alle Bohrverfahrenkb = 1,0 und damit für alle Fälle fbd,P IR = fbd.

Der temperaturabhängige Abminderungsfaktor kf i (Θ) ist gemäß ETA19/0543 [1] mitkf i (Θ) = { 4673,8 · T −1,598 / 0,0 fbd,P IR · 4,3 ≤ 1 T ≤ 278,0°C T > 278,0°C zu berücksichtigen. Die resultierenden temperaturabhängigen Verbundspannungen fbd,f i (Θ) sind in Abhängigkeit der Betonfestigkeitsklasse für gute und andere Verbundbedingungen in den Abbildungen 5 bis 12 dargestellt. Im Rahmen der Bemessung nachträglicher Bewehrungsanschlüsse im Brandfall ist neben der Unterscheidung zwischen den Anwendungsfällen A und B zusätzlich zwischen den Versagensarten Herausziehen und Stahlversagen zu differenzieren

2 Anwenungsfall A

Weist bei Anwendungsfall A der Bewehrungsanschluss in die gleiche Richtung wie die beflammte Oberfläche, resultiert aufgrund des Funktionsverlaufs der Einheitstemperaturzeitkurve (vgl. Abbildung 1) zwar eine zeitlich veränderliche, jedoch örtlich konstante Temperatur entlang des Bewehrungsanschlusses. Die zeitabhängige Bewehrungstemperatur im Brandfall ist lediglich von der Geometrie des Bestandsbauteils abhängig und die Bemessung im Brandfall kann unter Nutzung der zeitabhängigen Bewehrungstemperatur Θ(t) sowie der zeitabhängigen Verbundspannung fbd,f i (Θ(t)) erfolgen.

2.1 Herausziehen

Sind die einwirkenden Beanspruchungen auf einen Bewehrungsanschluss größer als die aufnehmbare Verbundkraft, tritt ein Versagen durch Herausziehen auf. Der Nachweis für die Versagensart Herausziehen wird im Anwendungsfall A in Form der Ermittlung der im Brandfall erforderlichen Verankerungslänge lb,rqd,f i (t) geführt (vgl. ETA-19/0543 [1], Anhang C2). Der Wert lb,rqd,f i (t) beschreibt den Grundwert der Verankerungslänge im Brandfall und ist gemäß DIN EN 1992-1-1 [4], Gleichung (8.3) unter Berücksichtigung der temperatur- bzw. zeitabhängigen Verbundspannung zu bestimmen

lb,rqd,f i (t) = (Ø/4) · [σsd,f i/fbd,f i (Θ(t))]

mit ∅: Durchmesser des Bewehrungsstabs, σsd,f i : vorhandene Stahlspannung des Stabes am Beginn der Verankerungslänge im Grenzzustand der Tragfähigkeit unter außergewöhnlicher Bemessungssituation gemäß DIN EN 1990 [6]. Den Bemessungswert lbd,f i (t) der Verankerungslänge im Brandfall erhält man analog zum Nachweis unter Normaltemperatur gemäß DIN EN 1992-1-1 [4], Kapitel 8.4.4.

2.2 Stahlversagen

Die temperaturabhängige Tragfähigkeit des Bewehrungsstabs selbst wird durch die Tragfähigkeit des Stahlquerschnitts begrenzt. Gemäß DIN EN 1992-1-2 [5], Kapitel 5.2(4) darf die Bewehrung in statisch bestimmt gelagerten Stahlbetonkonstruktionen im Brandfall mit Hilfe eines Temperaturkriteriums nachgewiesen werden. Hierbei beträgt die kritische Temperatur Θcrit = 500°C. Der Nachweis für Stahlversagen ist folglich erbracht, wenn für den ungünstigsten (also wärmsten) Punkt des Bewehrungsstabs im nachträglichen Bewehrungsanschluss gilt Θ(t) ≤ Θcrit = 500°C.

Alternativ kann der Nachweis des Bewehrungsstabs für Stahlversagen im Brandfall über einen Vergleich der einwirkenden mit der aufnehmbaren (Zug-)Kraft erfolgen Nf i,Θ(t),Rd ≥ Nf i,Ed mit Nf i,Ed : Beanspruchung des Stabes am Beginn der Verankerungslänge im Grenzzustand der Tragfähigkeit bei außergewöhnlicher Bemessungssituation gemäß DIN EN 1990 [6]. Die aufnehmbare Kraft im Brandfall ist unter Berücksichtigung der temperaturabhängigen Abnahme der Streckgrenze gemäß DIN EN 1992-1-2 [5], Tabelle 3.2a zu bestimmen

mit Nf i,Ed : Beanspruchung des Stabes am Beginn der Verankerungslänge fsy,Θ(t) = ky Θ(t) · fyk

Man erhält die aufnehmbare Zugkraft im Brandfall zu Nf i,Θ(t),Rd = kyΘ(t)· fyk· (π · Ø2/4) · (1/ yM,f i)

Im Brandfall gilt gemäß DIN EN 1992-1-2 [5], Kapitel 2.3 in Übereinstimmung mit dem entsprechenden Nationalen Anhang für den materialseitigen Teilsicherheitsbeiwert von Betonstahl γM,f i = 1,0.

3 Anwendungsfall B

Weist bei Anwendungsfall B der Bewehrungsanschluss senkrecht zur Richtung der beflammten Oberfläche, herrscht eine zeitlich und örtlich veränderliche Temperatur entlang des Bewehrungsanschlusses – die Temperatur sinkt mit zunehmendem Abstand zur beflammten Oberfläche.

3.1 Herausziehen

Eine Bemessung im Brandfall für die Versagensart Herausziehen in Form der Ermittlung einer einzigen zeitabhängigen Verbundspannung fbd,f i (Θ(t))ist für Anwendungsfall B nicht ausreichend, weil diese entlang des Bewehrungsanschlusses veränderlich ist. Bei einer Vorgehensweise analog zu Anwendungsfall A würde also an jedem Punkt des Bewehrungsstabs eine andere erforderliche Verankerungslänge lb,rqd,f i(t) resultieren.

Auf der sicheren Seite liegend ist es selbstverständlich denkbar und zulässig, die erforderliche Verankerungslänge lb,rqd,f i (t) analog zu Anwendungsfall A unter Berücksichtigung der ungünstigsten (also höchsten) Temperatur des Bewehrungsstabs im Bestandsbauteil zu ermitteln. Die auf diese Weise gewonnenen Ergebnisse sind jedoch mit zunehmender Verankerungslänge als ausgesprochen konservativ zu bewerten.

Eine wirtschaftlichere Herangehensweise, bei der die tatsächliche Tragfähigkeit der Verbundfuge genutzt wird, ist der Nachweis für die Versagensart Herausziehen im Anwendungsfall B in Form des Vergleichs einwirkenden und der aufnehmbaren Kräfte

Nbd,f i,Rd (t) ≥ Nf i,Ed

Die aufnehmbare Kraft Nbd,f i,Rd (t) in der Verbundfuge erhält man durch Integration der temperaturabhängigen Verbundspannung fbd,f i (Θ(t)) über die lastübertragende Oberfläche des Bewehrungsstabs

Nbd,f i,Rd (t) = π · ∅ · ∫Iv0 fbd,f i (Θ(t,x)) dx

mit lv : Setztiefe. Sind aufnehmbare und einwirkende Kraft identisch Nbd,f i,Rd (t) = Nf i,Ed entspricht die Setztiefe lv für einen definierten Zeitpunkt t der erforderlichen Verankerungslänge lb,rqd,f i (t) gemäß ETA-19/0543 [1], Anhang C2 und DIN EN 1992-1-1 [4], Gleichung (8.3). Analog zum Anwendungsfall A und zum Kaltfall ist der Bemessungswert lbd,f i (t) der Verankerungslänge im Brandfall gemäß DIN EN 1992-1-1 [4], Kapitel 8.4.4 zu bestimmen.

3.2 Stahlversagen

Im Gegensatz zum Versagen durch Herausziehen ist der Nachweis für Stahlversagen am ungünstigsten Nachweisschnitt, also unter Berücksichtigung der entlang der Bewehrungsstabs zu einem gegebenen Zeitpunkt t maximal auftretenden Temperatur zu führen. Die Nachweisführung kann analog zu Anwendungsfall A mit Hilfe des Temperaturkriteriums oder über den Vergleich der einwirkenden und der aufnehmbaren Kraft erfolgen.

Abbildung 13: Beispiel 1, Anwendungsfall A: nachträgliche Bewehrungsanschlüsse in  Stahlbetondecke und Stahlbetonbalken

Abbildung 13: Beispiel 1, Anwendungsfall A: nachträgliche Bewehrungsanschlüsse in Stahlbetondecke und Stahlbetonbalken

Abbildung 14: Beispiel 1, Anwendungsfall A: thermische Randbedingungen  (rot: beflammt; blau: unbeflammt, brandabgewandt)

Abbildung 14: Beispiel 1, Anwendungsfall A: thermische Randbedingungen (rot: beflammt; blau: unbeflammt, brandabgewandt)

IV Beispiele

1 Anwendungsfall A

1.1 Allgemeines

Als Beispiel für nachträgliche Bewehrungsanschlüsse, die in Anwendungsfall A zu kategorisieren sind, wird eine Stahlbetondecke und ein Stahlbetonbalken untersucht. Die Geometrie der Bauteile ist in Abbildung 13 dargestellt, wobei jeweils das Bestandsbauteil grau und das Neubauteil rot gekennzeichnet ist. Für den Balken wird die tragende Längsbewehrung mit einer Betondeckung von cBalken = 50 mm und für die Decke die obere Bewehrungslage mit einer Betondeckung (bezogen auf die beflammte Oberfläche) von cDecke = 90 mm betrachtet. Die nachträgliche Bewehrung ist jeweils rot markiert, während die vorhandene Bewehrung des Bestandsbauteils schwarz gekennzeichnet ist. Der Durchmesser der Bewehrungsstäbe wird mit ∅ = 20 mm angenommen. Mit einer äußeren Geometrie von

bBalken = 180 mm

hBalken = 540 mm

hDecke = 120 mm

und Achsmaßen der Bewehrung bezüglich der brandbeanspruchten Oberfläche von

aBalken = cBalken + Ø/2 = 50 mm + 20mm/2 = 60 mm

aDecke = cDecke + Ø/2 = 90 mm + 20mm/2 = 100 mm

sind die gegebene Konstruktionen ohne nachträglichen Bewehrungsanschluss gemäß DIN EN 1992-1-2 [5], Tabelle 5.5 (Balken) in die Feuerwiderstandsklasse REI 90 bzw. gemäß Tabelle 5.8 (Decke) in die Feuerwiderstandsklasse REI 120 einzustufen. Die zeitabhängige Temperaturverteilung in der Gesamtkonstruktion wird daher für eine Brandbeanspruchung nach der Einheitstemperaturzeitkurve (vgl. Abbildung 1) mit einer Dauer von 120 Minuten bestimmt. Die Berechnung der zeitabhängigen Temperaturverteilung erfolgt numerisch als dreidimensionale Finite-Elemente-Simulation. Diese darf gemäß DIN EN 1992-1-2 [5], Kapitel 4.3.2(4) am reinen Betonquerschnitt ohne explizite Berücksichtigung der Bewehrung durchgeführt werden. Die temperaturabhängigen thermischen Eigenschaften von Beton werden gemäß DIN EN 1992-1-2 [5], Kapitel 3.3.3 berücksichtigt (obere Grenze der Wärmeleitfähigkeit). Die dämmende Wirkung eines ggf. vorhaen Fußbodenaufbaus wird für das vorliegende Beispiel vernachlässigt. Abbildung 14 verdeutlicht die beflammten (rot) sowie die brandabgewandten Oberflächen der Konstruktion.

In den unten stehenden Abbildungen sind die Berechnungsergebnisse in Form der Temperaturverteilungen in der Decke und im Balken zu den Zeitpunkten t = 30 min, t = 60 mint = 90 min und t = 120 min dargestellt.

Für die Nachweisführung am nachträglichen Bewehrungsanschluss sind in Abbildung 17 zusätzlich die zeitabhängigen Temperaturen an der Balken- sowie an der Deckenbewehrung dargestellt.

Aus den zeitabhängigen Temperaturen an der Bewehrung werden im nächsten Schritt die aufnehmbaren Verbundspannungen für Decke und Balken bestimmt. Beispielhaft erfolgt dies im vorliegenden Fall für die Betonfestigkeitsklassen C12/15 und C50/60, jeweils für gute und andere Verbundbedingungen (vgl. Abbildungen 5 bis 12). Die entsprechenden Ergebnisse sind in Abbildung 18 ausgewiesen.

Abbildung 17: Beispiel 1, Anwendungsfall A: zeitabhängige Temperaturen an der Balken und Deckenbewehr

Abbildung 17: Beispiel 1, Anwendungsfall A: zeitabhängige Temperaturen an der Balken und Deckenbewehr

Abbildung 18: Beispiel 1, Anwendungsfall A: zeitabhängige aufnehmbare Verbundspannungen an der Deckenbewehrung

Abbildung 18: Beispiel 1, Anwendungsfall A: zeitabhängige aufnehmbare Verbundspannungen an der Deckenbewehrung

Abbildung 18: Beispiel 1, Anwendungsfall A: zeitabhängige aufnehmbare Verbundspannungen an der Balkenbewehrung

Abbildung 18: Beispiel 1, Anwendungsfall A: zeitabhängige aufnehmbare Verbundspannungen an der Balkenbewehrung

Tabelle 2: Beispiel 1, Anwendungsfall A: Zusammenfassung der Berechnungsergebnisse (g: gute Verbundbedingungen, a: andere Verbundbedingungen)

Tabelle 2: Beispiel 1, Anwendungsfall A: Zusammenfassung der Berechnungsergebnisse (g: gute Verbundbedingungen, a: andere Verbundbedingungen)

In Tabelle 2 sind die bisher erzielten Ergebnisse für die brandschutztechnisch relevanten Zeitpunkte t = 30 min, t = 60 min, t = 90 min und t = 120 min zusammengefasst.

Unter Nutzung der Berechnungsergebnisse für die zeitabhängige Temperatur und Verbundspannung erfolgt im nächsten Schritt die Nachweisführung für Stahlversagen und Herausziehen. Der nachträgliche Bewehrungsanschluss ist nachgewiesen, wenn die Nachweise für beide Versagensarten erbracht werden können. Im Hinblick auf die mechanische Beanspruchung im Brandfall wird beispielhaft von σsd, f i = 0,3 · fykausgegangen. Für üblichen Bewehrungsstahl B500A ergibt sich σsd, f i = 0,3 · 500 N/mm2 = 150 N/mm2.

1.2 Herausziehen

Für eine Feuerwiderstandsdauer von 60 Minuten erhält man für den nachträglichen Bewehrungsanschluss in der Decke den Grundwert der Verankerungslänge zu

lb,rqd,f i (t) = 20 mm/4 · 150 N/mm2 /1,01 N/mm2 = 743 mm

Die Grundwerte der Verankerungslängen für die übrigen Varianten sind in Tabelle 3 ausgewiesen.Der Bemessungswert lbd,f i (t) der Verankerungslänge im Brandfall ist unter Berücksichtigung der realen konstruktiven Gegebenheiten gemäß DIN EN 1992-1-1 [4], Kapitel 8.4.4 zu bestimmen. Im Rahmen des vorliegenden Beispiels wird im Folgenden angenommen lbd (t) = lb,rqd,f i (t).

Tabelle 3: Beispiel 1, Anwendungsfall A: Grundwerte der Verankerungslänge im Brandfall (g: gute Verbundbedingungen, a: andere Verbundbedingungen)

Tabelle 3: Beispiel 1, Anwendungsfall A: Grundwerte der Verankerungslänge im Brandfall (g: gute Verbundbedingungen, a: andere Verbundbedingungen)

Als letzter Schritt ist zu prüfen, ob die jeweilige rechnerische Verankerungslänge sowie die Kombination aus Verankerungslänge und Betondeckung dem Anwendungsbereich von ETA-19/0543 [1] entspricht. Gemäß ETA-19/0543 [1], Tabelle B2 ist für Bewehrungsstäbe mit dem Durchmesser ∅ = 20 mm bei den Bohrverfahren Hammerbohren, Pressluftbohren und Diamantbohren eine maximale Setztiefe von lv,max = 2000 mmeinzuhalten, für Hohlbohren gilt lv,max = 1000 mm. Der Vergleich mit Tabelle 3 macht deutlich, dass unter den gegebenen Randbedingungen ein nachträglicher Bewehrungsanschluss ausschließlich in der Decke und für die Feuerwiderstandsdauern 30, 60 und 90 Minuten dem Anwendungsbereich von ETA-19/0543 [1], Tabelle B2 entspricht, sofern nicht das Bohrverfahren Hohlbohren zum Einsatz kommt. In ETA-19/0543 [1], Tabelle B1 wird die Mindestbetondeckung in Abhängigkeit der Verankerungslänge festgelegt. Für Hammerbohren ohne Bohrhilfe und die Einbindetiefe lbd,Decke (90 min) = 1531,0 mm ergibt sich beispielsweise eine Mindestbetondeckung von

cmin,90 = 30 mm + 0,06 · 1531,0 mm = 121,86 mm.

Die Anforderung an die Mindestbetondeckung ist demnach für die gegebene Deckenkonstruktion mit cDecke = 90 mm und eine Feuerwiderstandsdauer von 90 Minuten nicht erbracht. Für eine Feuerwiderstandsdauer von 60 Minuten ergibt sich

cmin,60 = 30 mm + 0,06 · 743mm = 74,58mm.

Der untersuchte nachträgliche Bewehrungsanschluss in der Decke entspricht bei Hammerbohren ohne Bohrhilfe somit lediglich für die Feuerwiderstandsdauern 30 und 60 Minuten dem Anwendungsbereich von ETA19/0543 [1], Tabelle B1. Werden die in Tabelle 3 ausgewiesenen erforderlichen Verankerungslängen eingehalten, ist der Nachweis des nachträglichen Bewehrungs?anschlusses in der Decke auf Herausziehen erbracht.

Tabelle 4: Beispiel 1, Anwendungsfall A: Bemessungswert der aufnehmbaren Stahlspannung im Brandfall

Tabelle 4: Beispiel 1, Anwendungsfall A: Bemessungswert der aufnehmbaren Stahlspannung im Brandfall

1.3 Stahlversagen

Der Nachweis für Stahlversagen wird zunächst gemäß DIN EN 1992-1-2 [5], Kapitel 5.2(4) mittels des Temperaturkriteriums geführt. Der Vergleich mit Tabelle 2 macht deutlich, dass die kritische Temperatur von Θcrit =500°C für den nachträglichen Bewehrungsanschluss in der Decke für keine der untersuchten Feuerwiderstandsdauern und im Balken für die Feuerwiderstandsdauern 90 und 120 Minuten überschritten wird. Der Nachweis der nachträglichen Bewehrungsanschlüsse für Stahlversagen unter Nutzung des Temperaturkriteriums ist demnach in der Decke für die Feuerwiderstandsdauern 30, 60, 90 und 120 Minuten und im Balken für die Feuerwiderstandsdauern 30 und 60 Minuten erbracht. Als zweite Variante wird der Nachweis für Stahlversagen über einen Vergleich der einwirkenden mit der aufnehmbaren Beanspruchung geführt. Tabelle 4 zeigt den Bemessungswert der aufnehmbaren Stahlspannung

σf, iΘ(t),Rd = kyΘ(t) · fyk . 1/ γM,f i

Bei einer einwirkenden Stahlspannung von σsd,f i = 150 N/mm2 wird aus dem Vergleich mit Tabelle 4 ersichtlich, dass der Nachweis des nachträglichen Bewehrungsanschlusses für Stahlversagen im Balken nun zusätzlich für eine Feuerwiderstandsdauer von 90 Minuten erbracht ist. Der Unterschied zwischen Temperaturkriterium (vereinfachte Methode) und genauerem Nachweis resultiert aus der dem Temperaturkriterium zugrunde liegenden Annahme einer für den Brandfall voll ausgelasteten Konstruktion (vgl. DIN EN 1992-1-2 [5], Kapitel 5.2(4)), während für den Vergleich von Einwirkung und Tragwiderstand die tatsächliche Auslastung bzw. Beanspruchung des untersuchten Bauteils berücksichtigt wird.

1.4 Zusammenfassung

Aus den obigen Berechnungen wird deutlich, dass für die untersuchte Konstruktion mit zwei nachträglichen Bewehrungsanschlüssen die Versagensart Herausziehen maßgebend ist. Unter den gegebenen Randbedingungen ist der Gesamt-Nachweis der nachträglichen Bewehrungsanschlüsse folglich nur in der Decke für die Feuerwiderstandsdauern 30 und 60 Minuten erbracht.

2 Anwendungsfall B

2.1 Allgemeines

Als Beispiel für einen nachträglichen Bewehrungsanschluss mit Anwendungsfall B wird der Anschluss der Stahlbetondecke und des Stahlbetonbalkens aus Beispiel 1 an eine Stahlbetonwand der Dicke dWand = 250 mm untersucht. Für eine zu übertragende Kraft von Nf i,Ed = 20 kN wird die erforderliche Verankerungslänge in Abhängigkeit der Dauer der Brandbeanspruchung gesucht. Die Geometrie der Konstruktion ist in Abbildung 19 dargestellt, wobei jeweils das Bestandsbauteil grau und das Neubauteil rot gekennzeichnet ist.

Die Berechnung der zeitabhängigen Temperaturverteilung erfolgt analog zu Anwendungsfall A numerisch als dreidimensionale Finite-Elemente-Simulation. Abbildung 20 verdeutlicht die beflammten (rot) sowie die brandabgewandten Oberflächen der Konstruktion. In den Abbildungen 21 und 22 sind die Berechnungsergebnisse in Form der Temperaturverteilungen zu den Zeitpunkten t = 30 min, t = 60 min, t = 90 min und t = 120 min dargestellt.

Abbildung 19: Beispiel 2, Anwendungsfall B: nachträgliche Bewehrungsanschlüsse in  Stahlbetondecke bzw. Stahlbetonbalken an Stahlbetonwand

Abbildung 19: Beispiel 2, Anwendungsfall B: nachträgliche Bewehrungsanschlüsse in Stahlbetondecke bzw. Stahlbetonbalken an Stahlbetonwand

Abbildung 20: Beispiel 2, Anwendungsfall B: thermische Randbedingungen  (rot: beflammt; blau: unbeflammt, brandabgewandt)

Abbildung 20: Beispiel 2, Anwendungsfall B: thermische Randbedingungen (rot: beflammt; blau: unbeflammt, brandabgewandt)

Für die Nachweisführung am nachträglichen Bewehrungsanschluss sind in Abbildung 23 zusätzlich die örtlich veränderlichen Temperaturen an der Balken- sowie an der Deckenbewehrung im Bereich des Bestandsbauteils zu den Zeitpunkten t = 30 min, t = 60 min, t = 90 min und t = 120 min dargestellt. Die Koordinate 0 mm beschreibt in Abbildung 23 den Übergang zwischen Bestands- und Neubauteil und die Koordinate 250 mm die brandabgewandte Oberfläche des Stahlbetonwand.

2.2 Herausziehen

Unter Nutzung der in Abbildung 23 dargestellten Temperaturverläufe wird im nächsten Schritt für verschiedene Setztiefen lv die aufnehmbare Kraft Nbd,f i,Rd (t) bestimmt. Unter der Annahme einer stirnseitigen Betonüberdeckung von c1 ≥ 30 mm sind wirksame Setztiefen von lv ≤ 220 mm realisierbar. Für das vorliegende Beispiel werden Bewehrungsstäbe mit dem Durchmesser ∅ = 12mm untersucht. Die minimale Setztiefe beträgt damit in Anlehnung an DIN EN 1992-1-1 [4], Gleichungen (8.6) und (8.7)

lv,min = max [100 mm, 10 · ∅] = max [100 mm, 120 mm] = 120 mm

Die aufnehmbare Verbundkraft Nbd,f i,Rd ergibt sich für jeden Fall aus der Integration der temperaturabhängigen Verbundspannung fbd,f i (Θ(t)) über die lastübertragende Oberfläche des Bewehrungsstabs. Die entsprechenden Berechnungsergebnisse sind für die Balken- und Deckenbewehrung im Bereich des Bestandsbauteils in Abhängigkeit der Setztiefe und der Dauer der Brandbeanspruchung in Abbildung 24 ausgewiesen.

Die erforderliche Verankerungslänge lb,rqd,f i ergibt sich aus der Forderung

Nbd,f i,Rd ≥ Nf i,Ed

und kann aus Abbildung 24 abgelesen werden. Bei Betonfestigkeitsklasse C50/60 und guten Verbundbedingungen sind beispielsweise für eine Feuerwiderstandsdauer von 60 min Verankerungslängen

lb,rqd,f i,decke = 125mm und

lb,rqd,f i,balken = 180 mm

erforderlich. Hinsichtlich des Bemessungswerts lbd,f i der Verankerungslänge im Brandfall wird analog zu Beispiel 1 angenommen

lbd = lb,rqd,f i

Werden die erforderlichen Verankerungslängen eingehalten, ist der Nachweis des nachträglichen Bewehrungsanschlusses auf Herausziehen erbracht.

2.3 Stahlversagen

Der Nachweis des nachträglichen Bewehrungsanschlusses für Stahlversagen ist analog zu Beispiel 1 entweder mittels des Temperaturkriteriums oder genauer über den Vergleich der einwirkenden mit der aufnehmbaren Beanspruchung zu führen. Im Unterschied zu Anwendungsfall A ist aufgrund der örtlich und zeitlich veränderlichen Temperaturen bei Anwendungsfall B im Vorfeld der maßgebende Nachweisschnitt zu bestimmen. Im vorliegenden Fall ist dies der Übergang zwischen Bestands- und Neubauteil (Koordinate 0 mm), da dort die höchsten Temperaturen auftreten. Aus Abbildung 23 wird ersichtlich, dass die kritische Temperatur von Θcrit = 500°C im Nachweisschnitt in keinem Fall überschritten wird. Da zudem die Beanspruchung im Brandfall nicht die Beanspruchbarkeit unter Umgebungstemperatur überschreitet

Nf i,Ed = 20 kN ≤ NRd = fyk · (π · Ø2)/4 · 1/ γS= 49,17 kN

ist der Nachweis des nachträglichen Bewehrungsanschlusses für Stahlversagen der Balken- und Deckenbewehrung für die Feuerwiderstandsdauern 30, 60, 90 und 120 Minuten erbracht.

2.4 Zusammenfassung

Da nicht für alle untersuchten Varianten und brandschutztechnisch relevanten Zeitpunkte innerhalb der konstruktiven Grenzen eine Verankerungslänge bestimmt werden kann, die die Übertragung der einwirken?den Beanspruchung erlaubt (vgl. Abbildung 24), ist auch im Beispiel 2 die Versagensart Herausziehen maßgebend.

V Software-Lösung

Aus den vorangegangenen Abschnitten wird ersichtlich, dass das Tragverhalten nachträglicher Bewehrungsanschlüsse im Brandfall von zahlreichen Einflussgrößen abhängig ist. Um die Bemessung und Nachweisführung zu erleichtern, wurde die Anwendersoftware Würth REBAR Design entwickelt, die neben der Bemessung unter Umgebungstemperatur auch die Nachweisführung im Brandfall abdeckt. Für zahlreiche Konstruktionsvarianten sind Ergebnisse numerischer Durchwärmungsberechnungen hinterlegt, um die Bestimmung der Tragfähigkeit nachträglicher Bewehrungsanschlüsse im Brandfall anwenderfreundlich zu ermöglichen.

Literaturverzeichnis

[1] ETA-19/0543: Würth Injektionssystem WIT-PE 1000 für Bewehrungsanschlüsse, Systeme für nachträglich eingemörtelte Bewehrungsanschlüsse – Deutsches Institut für Bautechnik, 17.04.2020

[2] DIN EN 13501-2:2016-12: Klassifizierung von Bauprodukten und Bauarten zu ihrem Brandverhalten Teil 2: Klassifizierung mit den Ergebnissen aus den Feuerwiderstandsprüfungen, mit Ausnahme von Lüftungsanlagen; Deutsche Fassung EN 13501-2:2016

[3] DIN EN 1363-1:2020-05: Feuerwiderstandsprüfungen – Teil 1: Allgemeine Anforderungen; Deutsche Fassung EN 1363-1:2020

[4] DIN EN 1992-1-1:2011-01: Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton und Spannbetontragwerken Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau; Deutsche Fassung EN 1992-1-1:2004 + AC:2010

[5] DIN EN 1992-1-2:2010-12: Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton und Spannbetontragwerken Teil -2: Allgemeine Regeln Tragwerksbemessung für den Brandfall; Deutsche Fassung EN 1992-1-2:2004 + AC:2008

[6] DIN EN 1990:2010-12: Eurocode: Grundlagen der Tragwerksplanung; Deutsche Fassung EN 1990:2002 + A1:2005 + A1:2005/AC:2010

Würth Rebar Design

WÜRTH REBAR DESIGN

Bemessung von nachträglich eingemörtelten Bewehrungsstäben unter Brandeinwirkung mit der Würth Technical Software

Die Würth REBAR Design Software ist Teil der Würth Technical Software. Im Reiter Belastung können Lastfälle „Feuer“ definiert und die dazugehörige Feuerwiderstandsklasse ausgewählt werden. In Abhängigkeit von der Bauteilsituation errechnet das Programm die am Stab anliegende Temperatur und darauf aufbauend die erforderliche Einbindetiefe. Die Funktion erhalten Sie durch Update Ihrer installierten Würth Technical Software.

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