
Das neue bauaufsichtlich zugelassene System RELAST zur nachträglichen Bauwerksverstärkung
Das Highspeed Reinforcement System RELAST von Würth ist das effizienteste Verfahren zur nachträglichen Erhöhung der Querkraft- und Durchstanzwiederstandes.
Felix Zimmermann
Mi., 25.11.2020
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15 Minuten
RELAST wurde entwickelt zur Verstärkung von Brücken, Tunneln, Unterführungen, Parkhäuser und Gebäuden. Prof. Jürgen Feix und Dr. Johannes Lechner erläutern die Vorteile und Anwendungsgebiete für RELAST Verbundankerschrauben.
Einhergehend mit der steigenden Mobilität der Bevölkerung und dem Wirtschaftswachstum hat sich der Verkehr im mitteleuropäischen Raum in den letzten Jahrzehnten rasant entwickelt. Gleichzeitig wurde der Großteil der Infrastrukturbauwerke in diesen Ländern im Zeitraum zwischen 1960 bis 1990 nach den damals gültigen Regelwerken errichtet. Das Alter der Bauwerke führte in Verbindung mit den immer höheren Lasten in den letzten Jahren zu teils massiven Schäden an der bestehenden Infrastruktur. Im Zuge von Nachrechnungen von Bestandsbauwerken wurden außerdem häufig Tragfähigkeitsdefizite, zum Beispiel an Brücken, festgestellt. In vielen Fällen ist jedoch ein Ersatzneubau von bestehenden Brücken, etwa an Hauptverkehrsrouten, nicht ohne wesentliche volkswirtschaftliche Schäden möglich.
Aus diesem Grund besteht ein bedeutender Bedarf nach Verstärkungslösungen, die unter Aufrechterhaltung der Nutzung des Tragwerks eingebaut werden können. Dazu wurde basierend auf einer Idee von Prof. Feix, in Zusammenarbeit zwischen der Universität Innsbruck und den Firmen TOGE bzw. Würth, ein Verstärkungssystem für die nachträgliche Querkraft- und Durchstanzverstärkung durch den Einsatz von Betonschrauben mit großem Durchmesser als nachträgliche Bewehrung entwickelt. Auf Basis zahlreichen Laborversuche an Stahlbetonbalken und Platten konnte die vorzügliche Eignung dieser Schrauben als Verstärkungselemente nachgewiesen werden. Umfangreiche Zulassungsversuche unter gutachterlicher Begleitung führten im September 2019 zur Erteilung einer bauaufsichtlichen Zulassung für das neue Verstärkungsverfahren durch das Deutsche Institut für Bautechnik.
Einleitung
In den letzten Jahrzehnten hat das Verkehrsaufkommen im mitteleuropäischen Verkehrsnetz durch steigende Mobilität, aber auch verbunden mit dem Wirtschaftswachstum des europäischen Raumes stark zugenommen. dem Wachsenden Verkehrsaufkommen geht auch eine steigende Belastung der bestehenden Infrastruktur einher, die nicht nur aus dem vergrößerten Verkehrsvolumen, sondern auch aus den immer höher werdenden zulässigen Fahrzeuggewichten resultiert. So zeigt etwa die Abbildung 1 die Verkehrsbelastung in Form der jährlichen Fahrleistung auf den deutschen Bundesautobahnen und Bundesstraßen. Es ist ersichtlich, dass das Verkehrsaufkommen auf den Bundesautobahnen seit 1975 kontinuierlich zunimmt. Hingegen ist die Verkehrsentwicklung auf den Bundesstraßen seit der Wiedervereinigung einigermaßen konstant.
Demgegenüber stellt die Abbildung 2 die Altersverteilung der Brückeninfrastruktur auf deutschen Bundesautobahnen und Bundesstraßen bezogen auf die Brückenfläche dar. Dabei ist klar zu erkennen, dass etwa 60% der gesamten Brückenfläche im deutschen Fernstraßennetz zwischen 1960 und 1989 errichtet wurden. Dies bedeutet, dass diese Bauwerke heute zwischen 30 und 60 Jahre alt sind. Gleichzeitig zeigt die statistische Erhebung des Bundesamts für Straßenwesen, dass etwa 87% der Tragwerke aus Spann- oder Stahlbeton gefertigt wurden. Wie Untersuchungen, etwa von Maurer u.a. (2011) und Fischer u. a. (2014) zeigen, haben sich aufgrund der geänderten Belastungsnormen und Berechnungsmodelle mit denen Brücken heute dimensioniert werden, starke Tragfähigkeitsdefizite bei vielen der bestehenden Betonbrücken ergeben. Die Berechnung der 60 Jahre alten Brückenbauwerke auf Basis des damaligen Wissenstandes konnte die Verkehrs- und Lastentwicklung nicht vorhersehen. Gleichzeitig wurden die Bemessungsverfahren in den letzten Jahren immer wieder überarbeitet und damit verbunden die Werte der erforderlichen Bewehrung teilweise drastisch erhöht.
Dies gilt vor allem für die Menge an erforderlicher Querkraftbewehrung. Während zu Beginn der 1960er Jahre bei einem entsprechenden Nachweis der Betontragfähigkeit auf Schubbewehrung verzichtet werden konnte, gibt es mittlerweile Mindestwerte an erforderlicher Bewehrung, die sich im Laufe der Jahrzehnte entwickelt und kontinuierlich gesteigert haben.
Neben den gesteigerten Lasten und den veränderten Berechnungsvorschriften Wirkt sich der Investitionsstau bei der Verkehrsinfrastruktur, gerade in den alten Bundesländern, welcher über viele Jahre aufgebaut wurde, negativ auf den Zustand der Infrastrukturbauwerke aus. Durch zu geringe Erhaltungs- und Sanierungsmaßnahmen wurde der Zustand der Brückentragwerke laufend schlechter, Nach einigen Teilsperren von Tragwerken wurde dieser Umstand in den letzten Jahren auch vermehrt in die Öffentlichkeit getragen.
Die Folge sind nun Investitionsprogramme, mit denen die vorhandenen Tragwerke wieder auf ein angemessenes Niveau gebracht werden sollen, da Ausfälle von Bauwerken auf Hauptverkehrsrouten massive volkswirtschaftliche Schäden bewirken können. Dies gilt analog für Ersatzneubauten von Brücken, wie etwa die Untersuchungen von Gschösser u. a. (2016) zeigen. Vor diesem Hintergrund gibt es derzeit einen enormen Bedarf an Verstärkungssystemen mit denen Bauwerke einfach, schnell und möglichst unter Aufrechterhaltung ihrer vollen Funktion auf die gestiegenen Anforderungen verstärkt werden können.
2 Betonschrauben als Verstärkungselement
Um die Defizite an vorhandener Querkraft- und Durchstanzbewehrung in bestehenden Strukturen auszugleichen, braucht es innovative Verstärkungssysteme. Diese müssen nicht nur eine hohe Verstärkungswirkung bei geringem Einsatz an Verstärkungselementen aufweisen, sondern auch eine möglichst schnelle und einfache Installation ermöglichen. Der Einsatz von Betonschrauben als nachträgliche Querkraft- und Durchstanzverstärkung kann diese Erfordernisse erfüllen.
2.1 Tragwirkung von Betonschrauben
Betonschrauben sind seit Beginn der 1990er Jahre als Verankerungselement in Stahlbetonstrukturen bekannt und wurden in den vergangenen Jahren vermehrt eingesetzt. Die großen Vorteile von Betonschrauben gegenüber anderen Ankermitteln sind die schnelle Installation und die sofortige Belastbarkeit, welche sich durch den mechanischen Verbund der Schraube mit der Betonstruktur ergibt. Betonschrauben werden in ein vorgebohrtes Loch mit entsprechendem Durchmesser eingedreht und schneiden sich dabei ein Gewinde in die Bohrlochwandung, wodurch eine Verzahnung mit dem Beton erzeugt wird Damit ergibt sich eine kraftschlüssige Verbindung, die sofort belastet werden kann, wie in Abbildung 3 ersichtlich ist. Um die Tragfähigkeit der Betonschrauben weiter zu erhöhen, wurden die sogenannten Verbundankerschrauben entwickelt, bei denen ein Vinylesthermörtel vor dem Eindrehen der Schrauben in das Bohrloch Verbundmörtel injiziert wird. Damit wird der existierende Ringspalt zwischen Schraube und Beton verfüllt, was durch die größere Auflagefläche des Gewindes und den Klebeverbund (vgl. Abbildung 3) zu größeren Traglasten führt. Der Auszugswiderstand der Schrauben kann mittels Verklebung um etwa 40% gesteigert werden, wie auch in Lechner u.a. (2017) gezeigt wird.
2.2 Betonschrauben für die Tragwerksverstärkung
Die ursprünglich aus der Verankerungstechnik stammenden Verbundankerschrauben werden für den Einsatz als nachträgliche Querkraft- und Durchstanzverstärkung etwas modifiziert, um den abgeänderten Anforderungen zu entsprechen. Während Betonschrauben als Verankerungselement externe Lasten in der Struktur ableiten müssen, werden beim Einsatzes nachträgliche Bewehrung interne Kräfte der bestehenden Struktur aufgenommen und müssen wieder in der Struktur abgeleitet werden. Dementsprechend ist es erforderlich, dass nicht nur an der Schraubenspitze über das Verbundgewinde aufgenommen werden, sondern diese am anderen Ende der Schraube auch wieder abgeleitet werden. Dafür wird beim System eine Unterlegplatte mit einer Keilsicherungsfederscheibe und eine Mutter am ISO-Gewinde der Schraube an der Außenseite des Tragwerks angeordnet. Über die Mutter an der Außenseite ist es auch möglich, eine Vorspannung in der Schraube durch Andrehen zu erzeugen.
Diese Konfiguration ist in Abbildung 4 dargestellt, die die zugelassenen Typen der Betonschrauben als nachträgliche Querkraft- und Durchstanzverstärkung zeigt. Die Grundidee der nachträglichen Verstärkung entstand vor über Jahren und verwendet das bekannte Ankermittel Betonschraube als nachträglich eingebaute Bewehrung. Infolgedessen wurde in den vergangenen zehn Jahren an der Universität Innsbruck an diesem neuen Verstärkungssystem geforscht und in zahlreichen Versuchsserien anhand von Bauteilversuchen die Eignung der Schrauben als nachträgliche Bewehrung untersucht. Auf Basis dieser Untersuchungen wurden im September 2019 zwei bauaufsichtliche Zulassungen für das System durch das Deutsche Institut für Bautechnik erteilt. Die Zulassung Z 15.1-344 regelt den Einsatz der Betonschrauben als nachträgliche Querkraftbewehrung, die Zulassung Z 15.1-345 den Einsatz als nachträgliche Durchstanzverstärkung.